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Besoffen, aber gescheit - über das Buch

 

 

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Wenn die Narrenschelle klingelt

Gedanken zum neuen Buch von Eleonore Fronk und Werner Andreas ‚besoffen, aber gescheit’, Joseph Roths Alkoholismus in Leben und Werk


Sofern Philologen aller Couleur sich bislang mit Literaten oder deren Werken beschäftigten, so geschah und geschieht dies seither stets aus dem Blickwinkel der Künste, der artes, wie im angloamerikanischen Sprachraum die Geisteswissenschaften genannt werden, nie aber auf der Basis der Naturwissenschaften, wie auch immer.
Gerade in Deutschland verharrt man gerne in dieser Trennung, die doch keine ist, denn in einem sich verwissenschaftlichenden Zeitalter wie dem unsrigen merken wir, dass eine Separation dieser beiden Felder letztlich irrig ist.
So kommt es uns gelegen, dass wir erstmalig auf ein Schrifttum stoßen, welches ein auf den ersten Blick rein philologisches Thema zumindest versucht naturwissenschaftlich zu erhellen.
Im vorliegenden Falle geht es um ein Buch des Nervenärzte Eleonore Fronk und Werner Andreas, die die alkoholsüchtige Entwicklung des österreichischen Schriftstellers Joseph Roth aus medizinisch-psycholo­gi­scher Sicht betrachten wollten.
Dabei war dies zunächst gar nicht die Absicht der ursprünglich auf sich allein gestellten Autorin Eleonore Fronk, die über Jahre hinweg versucht hatte, dem Thema aus tiefenpsychologischer Sicht gerecht zu werden, ganz wie es ihr ihr Doktorvater, ein mittlerweile emeritierter Professor der Psychiatrie, aufgetragen hatte. Im Falle eines erfolgreichen Abschlusses der Arbeit hätte uns somit wieder eine eher künstlerische Betrachtung der Dinge vorgelegen; wenn man, wie der Verfasser dieser Zeilen, die frühe Urform dieses Textwerkes kennt. Dann hätten wir wiederum - nur -eine hermeneutische Auslegung der Textur einer menschlichen Seelen- Geistes- und Versagenslandschaft erlebt, welche - vielleicht - gut lesbar, nicht aber grundlegend erhellend gewesen wäre. Glücklicherweise erkannte die Autorin die Sinnlosigkeit ihres ursprünglichen Unterfangens nach Jahren der Qual und der fruchtlosen Auseinandersetzungen mit ihrem Auftraggeber und hätte wahrscheinlich gänzlich aufgegeben, wenn es nicht zur Zusammenarbeit mit ihrem psychiatrischen Kollegen gekommen wäre.

Wir haben das Ergebnis zu betrachten und uns zu fragen, ob es uns zusätzliche Erkenntnisse einträgt im Hinblick auf die Frage, inwieweit Suchterkrankungen und hier zuvörderst die Alkoholkrankheit sich auswirken auf die künstlerische Schaffensleistung eines Schriftstellers, der von nicht wenigen zu den Hochliteraten des deutschen Sprachraums gezählt und vielleicht in einem Atemzug mit Autoren wie Thomas Mann, Franz Kafka, Robert Musil und anderen genannt wird.

Es ist nicht einfach, dem Buche mit einigen wenigen Zeilen gerecht zu werden. Denn sosehr es sich bemüht, medizinisch-naturwissenschaftlich zu argumentieren, so sehr werden auch die Grenzen deutlich, die einer solchen Betrachtungsweise (heute noch) gesetzt sind, wenn sie sich auf die menschliche Seele bezieht. Auch sind die Autoren keine modernen Naturwissenschaftler im engeren Sinne, eher sind sie Repräsentanten einer klassischen Medizinerkarriere, die ja keineswegs eine ausschließlich naturwissenschaftliche Bildung gewonnen, sondern sich gleichermaßen auf einer geisteswissenschaftlich Basis entwickelt haben.
Die Ausgangsmotivation des Buches (und auch der ursprünglichen Dissertation) bildet die Frage, ob sich der Alkoholismus des Autors Joseph Roth tiefenpsychologisch erklären lässt und ob sich sein Werk in irgendeiner Form im Sinne einer Bewältigungsstrategie erklärt.
Zu diesem Zweck nehmen die Autoren einen Weg, der recht ungewöhnlich zum Teil zu nennen ist und die Schwierigkeiten einer gänzlichen Durchdringung der Problematik nie außer Acht lässt.
In der ersten Hälfte des Buches beschäftigen sie sich mit der Art und Weise, wie Joseph Roths Alkoholismus im bisherigen Schrifttum behandelt wurde und vergleichen die süchtige Entwicklung des Schriftsteller mit derjenigen anderer Autoren wie Jack London, E. Hemingway und Gottfried Benn.
Ergänzt werden diese Betrachtungen durch wissenschaftliche und psychologische Konzepte der Alkoholerkrankung und durch eine zusam­men­fas­sende Darstellung der Sekundärliteratur über den Autor Roth insgesamt.

Im Wesentlichen schließt sich sodann eine Betrachtung der Frage an, welche Zusammenhänge zwischen Alkoholgenuss und Autorschaft bestehen könnten - es werden hier einige interessante Konzepte erläutert.

Die Lebensgeschichte J. Roths bildet dann einen wesentlichen Teil des Buches, auf sie wird in besonderem Maße sehr ausführlich eingegangen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Betrachtung seiner alkoholsüchtigen Entwicklung und es wird der Frage nachgegangen, inwieweit das literarische Werk selbst den Alkoholismus zum Thema hat.

Den Abschluss bildet eine Darstellung der 'literarischen Biografie' des Autors mit der Frage, ob sein zunehmender Alkoholkonsum in den Werken - im Sinne einer Qualitätsverschlechterung - wiederzufinden ist. Ergänzend wird auch noch das Briefwerk des Joeph Roth dargestellt.

Das Buch bietet auf Anhieb eine Fülle von Informationen und informativen Zusammenhängen, wie sie in dieser Form wohl - Roth und andere Autoren betreffend - noch nie dargestellt wurden. Erwähnenswert ist vor allem, das allem Psychologisieren und Analysieren eine naturwissenschaftliche Denkungsalternative zur Seite gestellt wird. Das liegt im Trend der Zeit - in der so viele scheinbar psychogene Faktoren auf einmal durchsichtig werden vor dem Hintergrund neuerer biologisch-medizinischer Erkenntnisse.

Dennoch, und auch dies darf nicht unerwähnt bleiben, hat sich das Buch von dem ursprünglichen Ziel - einer Dissertation - weit entfernt. Wer eine klassische wissenschaftliche Analyse erwartet, der würde sicherlich enttäuscht, denn es finden sich darin weder eine klare Hypothesenbildung und eine aus ihr abgeleitete logische Struktur einer wie auch immer gearteten Beweisführung.

So sprechen die Autoren, um dieses Beispiel einmal herauszugreifen, davon, dass der Autor keine psychologischen Abwehrmechanismen aufgewiesen habe und auch nicht zu rationalisieren pflegte. Im Einzelnen komme dies in seinem Briefwerk zum Ausdruck. Eine Erläuterung allerdings, inwiefern dies in seinen Briefen nicht zum Ausdruck kommt, finden wir später nicht.

Ein andermal heißt es: "Wir werden es nicht wagen, tiefenpsychologisch oder gar psychoanalytisch an diesen Lebensbereich Roths (gemeint sind die Beziehungen des Autors zu Frauen) heranzugehen". Wir fragen uns natürlich: Warum nicht? Wo es sich doch um das dankbarste Feld der Tiefenpsychologie überhaupt handelt, wenn es um (sexuelle) Beziehungen geht.

Es sei betont: Dies ist kein wirklicher Nachteil des Buches, das eher erzählen will und kein pures Forschungselaborat sein möchte.

Vielmehr beeindruckt an ihm die ungeheure Verdichtung des zusam­men­ge­tragenen Materials, welches den Aufwand erahnen lässt, welcher erforderlich war, um es überhaupt fertig zu stellen.

Die Autoren kommen unter anderem zu dem Ergebnis, dass sich der Alkoholkonsum des Autors und sein Werk auf tiefenpsychologische Weise nicht fassen ließen. Möglicherweise werden dies die Tiefenpsychologen oder analytisch orientierte Menschen anders sehen, denn, und dass muss man vielleicht ergänzen, geht es in dieser Disziplin eher um ein 'einfühlendes Verstehen', nicht um einen klassischen wissenschaftlichen Beweis oder eine Widerlegung einer Tatsache.

Da sich aber im Sinne eines 'einfühlenden Verstehens' unter Hinzuziehung psychoanalytischer Ideen alles mögliche erklären lässt, ohne dass es sich in Kategorien wie 'richtig' oder 'falsch' einordnen ließe, hat die Schlussfolgerung der Autoren etwas sehr Gutes, da die Hoffnung besteht, dass in Zukunft niemand mehr versuchen wird, Roth tiefenpsychologisch zu erfassen.

Denn: welch wunderliche Resultate Versuche, Literatur oder Literaten auf diese Weise näher zukommen erbringen können, zeigt Robert Bly mit seinem Buch ‚Eisenhans’[1], worin das dementsprechende Märchen der Gebrüder Grimm in eigenartigster Weise auseinander genommen wird, oder gar das Traktat über ‚Goethe: Eine psychoanalytische Studie’ [2], welches der Altmeister der biologischen Wissenschaftsjournalisten Hoimar v. Ditfurth gar als ‚blühenden Unsinn’ bezeichnete[3].

Doch um endlich zurückzukehren zum Wesentlichen:

Was hervorsticht, ist eine Erkenntnis der Autoren, die selbst althergebrachten Psychiatern im Bereich der Suchtmedizin möglicherweise nicht immer präsent sein dürfte: Joseph Roth kann als Beispiel dafür dienen, dass es Menschen gibt, die einer chronischen (dauerhaften) Intoxikation (Vergiftung) durch ein Nervengift wie Alkohol geistig - ohne jegliche Beeinträchtigung des intellektuellen Leistungsvermögens - zu trotzen vermögen, wenngleich sie körperlich längst niedergehn. Derartige Phänomene finden wir selbst in medizinischen Fachbüchern kaum erwähnt.
Ein Leser, der einen eher intuitiven, rhapsodischen Erzählstil mag, der wird dieses Buch sehr gern lesen. Ihn wird nicht stören, dass die Autoren gelegentlich der Versuchung nicht widerstehen können, ihre eigene politische und weltanschauliche Position auf dem Rücken des Themas wie auf einer Trägerwelle subtil mitsurfen zu lassen.
Ihn wird auch nicht stören, dass gelegentlich Aussagen, die - an sich - nicht zum Kapitel passen, mehrfach wiederholt werden, offenbar weil die Autoren diese als Schlüsselerkenntis erlebt haben und eine systematische Erzählweise nicht ihre Stärke ist. Die verwendete Literatur aber ist im Anhang jedenfalls aufgeführt.

Ihm wird viel eher unvergessen bleiben, dass es noch ein Schrifttum gibt, dass, wie sonst nur in angelsächsischem Artikeln üblich, naturwissenschaft­liche (hier: medizinische) Sachverhalte und geisteswissenschaftliche Intuition so vorbildlich zu integrieren vermag.


Eleonore Fronk, Werner Andreas

“Besoffen, aber gescheit”
Joseph Roths Alkoholismus in Leben und Werk

2002 Athena Verlag Oberhausen 1. Aufl.
190 Seiten, € 21.50


[1] Robert Bly, Eisenhans, Ein Buch über Männer, München 1991
[2] Karl R. Eissler, Goethe. Eine psychoanalytische Studie, München 1987
[3] Hoimar v. Ditfurth, Innenansichten eines Artgenossen, Düsseldorf 1998



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